Wohlstand oder Stolz. Endet der Kapitalismus?

‚Make America great again’? Amerika soll wieder groß gemacht werden, so dass alle stolz auf es sein können. Zugleich aber soll es auch wachsen, d.h. höheren Wohlstand erlangen. Was nun aber?

Wenn Trump seinen Protektionismus durchsetzt, bedeutet es, dass viele Güter teuer werden. Und ob die Staatssubventionen, die Trump vorhat, längerfristig Arbeitsplätze schaffen, ist ungewiss, zumal die digital revolution massiv weiterhin Arbeitsplätze einsparen wird. Es ist unklar, ob Trump überhaupt die digital Transformation auf dem Schirm hat. So bleibt die Frage, ob man dafür, dass man auf sein Land wieder stolz sein kann, bereit ist, an Wohlstand einzubüßen.

Der Traum, dass alle Amerikaner wieder gut verdienen – wie in den 50iger und 60iger Jahren des vorherigen Jahrhunderts – wird der Ernüchterung weichen, dass der Wohlstand eher noch mehr sinken könnte. Ein paar alte Berg- und Stahlwerke werden, hochsubventioniert, aufgemöbelt, aber die Digitalisierung baut weiterhin mehr und mehr Arbeitsplätze ab. Nicht nur im ‚Rost Belt’. Und die großen Sharing-Konzerne (Uber, Airnb etc.) drücken die Löhne mehr und mehr, so dass die Leute trotz Beschäftigung ärmer werden.

Ob dann noch das Gefühl der Würde reicht? Möglichweise ja.

Wir haben es mit einem neuen Phänomen zu tun: in Russland verarmt die Bevölkerung massiv, aber alle glauben, dass Russland ein starker Staat sei, den viele andere fürchten. Auf den man deshalb stolz sein kann. In der Türkei schäumt ein Nationalismus hoch, der parallel mit einer wirtschaftlichen beginnenden Stagnation verläuft, vor allem aber mit einem Demokratieabbau einhergeht. Ähnlich in den arabischen Ländern, die durchweg nicht in der Lage sind, ihre Wirtschaftsgesellschaften zu entwickeln. Man wendet sich gegen den Westen, den man bewundert, dessen materiellen Wohlstand man aber verachtet und die eigene Würde – als Araber, als Muslime – hochhält. Der Dschihadismus ist die Extremform dieser Haltung: die Würde so hoch zu erachten, dass man lieber in Armut lebt und die westliche Kultur bekämpft. In Europa werden in England, Polen, Frankreich etc. die nationalen Stolzheiten hochgefahren. Auch in Deutschland haben wir Tendenzen, nationalistisch und völkisch zu denken: stolz auf Deutschland sein … .

Der entscheidende Punkt ist nicht der Stolz – warum soll man den nicht haben, wenn man gleichzeitig deshalb nicht andere diskreditiert? -, sondern die damit verbundenen einseitigen wirtschaftlichen Maßnahmen, der Protektionismus und die Re-Nationalisierung, die den aus der Globalisierung gewonnenen Wohlstand zurückfallen lassen werden. Was mag das für Stolz sein, der darauf beruht, sein Land abzuschotten, um ‚unter sich’ zu bleiben? Eine Art von cocooning (wie es im Privatleben auch zunimmt).

Sind wir an Ende der Wohlfahrtsgesellschaft gelangt, gar ans Ende des Kapitalismus, den Adam Smith als Prinzip ‚to higher the comfort of life’ beschrieb? In den Lectures of Jurisprudence stellte Smith zur Wahl: virtues or wealth. Das Prinzip der neuen Politischen Ökonomie um 1776 lautete: weniger den Tugenden folgen, dafür materiell besser leben. Eben dieses Konzept scheint an sein Ende geraten zu sein, wenn man den Stolz bzw. die Würde höher veranschlagt als die wirtschaftliche Prosperität. Der Test für den Kapitalismus lautet: sind die Trump-Wähler gewillt, den vom Präsidenten geschürten Patriotismus höher zu schätzen als die Enttäuschung, die sie ereilen wird, wenn die Arbeitsplätze noch geringer werden (statt mehr)?

Möglicherweise geht der Kapitalismus zu Ende, jedenfalls der Kapitalismus, der Wohlstand / Wohlfahrt und Zivilisations- entwicklung parallel laufen lassen konnte. Wenn wir zulassen, dass wir populistisch genährte autokratische Politiken bekommen, werden wir uns mit Ideologien begnügen müssen, bei sinkenden Einkommen. Wir werden ‚tugendhaft’ ärmer. Das aber ist eine Größe, an die man wahrscheinlich nicht dachte, als man ‚America great’ hoffte. Zur kulturellen Verarmung durch Ideologisierung kommt die wirtschaftliche durch protektionistische Verteuerung.


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