Mutter Teresa ist nun heilig. Warum nicht Deng Xiao Ping?

Papst Franziskus hat Mutter Teresa heiliggesprochen. Für nicht-religiöse Menschen ist das seltsam, wenn auch nicht so wichtig. Manche sind sogar einverstanden damit, der alten Helferin die Ehre zukommen zu lassen: als eine Art Barmherzigkeits-Preis. Als Heilige ist sie jetzt ein offizielles Zeichen für die Wirkung christlicher Barmherzigkeit. Doch sollten wir ehrlich bleiben: auch der Buddhismus und der Islam haben ihre Barmherzigkeitswelten.

Vielmehr ist zu fragen, ob Barmherzigkeit noch ein angemessenes Konzept ist gegen das Leid und die Armut der Welt. Natürlich kann man nicht ernsthaft gegen das Mitleid sein: das Mit-leiden am Leid der anderen. Doch selbst in der christlichen Nächstenliebe geht es nicht vordringlich um moralische Maximen, sondern um die Demut im Glauben, um Gottes Gnade teilhaftig zu werden. Der (moralische) Dienst am anderen ist vor allem Gottesdienst – es geht um das eigene Seelenheil. Der barmherzige Samariter gibt im Grunde Gott, der es dem Kranken gibt. Ohne diese Dreiecksbeziehung bräuchte man gar keine Religion, sondern könnte es moralisch untereinander regeln (oft hat man den Eindruck, dass Religion heute auf moralische Regeln reduziert wird. Dann braucht man aber keinen Gott und keinen Glauben. Das aber wäre ein eigenes Thema).

Kann die individuelle Barmherzigkeit aber die Mengen an Leid und Armut lindern, die es in der Welt gibt? Mutter Teresas Hospiz ist eine symbolische Instanz, aber im Armutsland Indien keine wirksame Linderung. Deng Xioa Ping hat mit seiner Öffnung des kommunistischen China für marktliche Wachstumsentwicklung hingegen Millionen von armen Chinesen zu einem mittelständischen Wohlstand geführt. Es ist eine ganz andere Armutspolitik. Wenn wir es vom Effekt her betrachten, müsste Deng Xiao Ping mehrere Heiliggrade zugesprochen bekommen (heilig hoch 2). Nun war er Kommunist und keiner katholischen Heiligung würdig. Aber wir stellen die beiden nicht einmal ansatzweise in Relation.

Wäre es angesichts der beträchtlichen Wachstumseffekte der letzten Jahrzehnte – viele ehemals ‚arme Länder’ sind Schwellenländer geworden – nicht an der Zeit, über arm und reich anders nachzudenken als in Kategorien der Hilfe, der Barmherzigkeit? Natürlich ist die arm/reich-Schere nicht geschlossen, aber kapitalistische Entwicklung hat ihren Beitrag geleistet (so wie auch in unserer eigenen Geschichte, bis hin zum Wohlfahrtsstaat).

Wenn wir bedenken würden – nur einmal in Gedanken -, dass wir alle Armen (z.B. die, die bei uns Hartz4 bekommen) über private Barmherzigkeit ernähren und erhalten müssten: wieviele würden sterben und verhungern? Es wäre nicht nur würdelos, so sehr vom goodwill privater Einkommensbesitzer abhängig zu sein, sondern nicht wirksam: viele würden sich diese Art von Umverteilung verbitten. Bzw. einfach nicht daran teilnehmen. Wenn man dann noch bedenken würde, dass die Flüchtlinge alle privat alimentiert werden müssten …

Beide Konzepte – Wachstum und Barmherzigkeit – haben ihre Berechtigung; Wachstum hat sich historisch als die wirkmächtigere Variante erwiesen. Sie beruht allerdings auf einem Systemeffekt, nicht auf individuellen Tugenden. Mutter Thersa heiligzusprechen lobt und prämiert das andere Konzept: die Armen unter dem Leitstern der Freiwilligkeit (d.h. auch Willkür) der privaten Gaben zu alimentieren, ist das schlechter organisierte Konzept. In seinen Lectures on Jurisprudence hat Adam Smith in der Mitte des 18. Jahrhunderts  das Dilemma auf den Punkt gebracht: wealth versus virtue: Reichtum versus Tugend. Entweder wir leben tugendhaft, aber arm, oder reicher, dafür aber weniger tugendhaft.

Mutter Therese lebte aus ihrem Glauben. Das ist ein eigener Quellcode für ein aufopferungsfähiges Leben. Alle, die nicht mehr glauben, haben auf diesen Code keinen Zugriff. Ihnen bleibt nur die Moral. Aber warum soll man sich an sie halten, wenn sich alle anderen auch nicht daran halten?  Die Kritik, die dem Kapitalismus vielfältig entgegen gehalten wird, beruft sich vor allem darauf, dass er nicht moralisch sei. Wenn aber die Moral, die wir untereinander nur noch schwach verfügen, nicht in der Lage ist, die Armut effektiver zu beheben als der Kapitalismus – was nützt uns die Moral als Alternative?


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