Es geht gar nicht um Burkas …

Eigentlich sind wir es gewohnt, dass Menschen sich zum Teil seltsam anziehen. So wie sich Nonnen (auch Bischöfe) fast ganz verhüllen. Beide aber lassen das Gesicht frei. Im Abendland löst die Gesichtsverhüllung Assoziationen aus, die die Betreiber orientalischer Sitten nicht kennen. Man verbirgt das Gesicht, wenn man etwas verdecken will (etwas Kriminelles, etwas Unsittliches). Oder im Karneval als Schattenrest heidnischer Riten. Wenn man sich aber als Menschen begegnen will, dann offenen Antlitzes.

Die Burka-Verkleidung ragt allerdings eine Stufe tiefer ins abendländische kollektiv Unbewusste: sie versteckt die Person, nimmt sie aus der Öffentlichkeit heraus (als ob sie nicht vorhanden wäre – eine Geistererscheinung). Dass das nur für Frauen gilt, verkompliziert die Sache. So etwas stößt sich an der europäischen Auffassung von Gleichheit. Über zwei Jahrhunderte wurde dafür gekämpft, dass Frauen selbstverständliche öffentliche Personen seien, bis in die Ämter und in die Politik hinein. Und zugleich und intensiver wurde dafür gekämpft, dass alle Bürger sich frei in der Öffentlichkeit bewegen und äußern können. Wenn nun ein religiöser Brauch darauf beharrt, Personen nur vermummt in die Öffentlichkeit treten zu lassen, darf es nicht wundern, dass man in unserer Gesellschaft mit ihrer Emanzipationsgeschichte verstört bis irritiert ist. Nicht das Verkleiden ist das Thema, sondern die Elimination des Öffentlichen im Burka-Konzept.

Die Toleranz, die der Burka gegenüber gefordert wird, müsste umgekehrt von denen, die die Burka fordern, auch unseren europäischen Freiheits- und Öffentlichkeitswerten gegen über gelten. Dass man sich in diesen Fragen nicht einigen wird, gehört zur sich ausdifferenzierenden hypermodernen Gesellschaft, in der die Migration zum Normalzustand wird. Wir haben schon Hare-Krishna-Verkleidungen erlebt, ebenso wie die Baghwan-Gewänder. Wir kennen die Hüte und die Kippa der frommen Juden; die katholischen Mönche gehen in mantelartigen Kapuzengewändern. Aber niemand trägt eine Maske.

Genauer besehen ist es gar keine Maske, sondern ein maskenloses Verstecken des Gesichtes. Weder Gesicht noch Maske: eine Art sozialer Leerstelle. Obwohl die Hülle einen Menschen andeutet, bleibt er/sie sozial unbesetzt. Konvertitinnen, die sich freiwillig die Burka anziehen, reden davon, dass sie froh sind, unbehelligt in der Öffentlichkeit zu sein, ‚wie unter einem Zelt’ für sich, ohne in Kontakt mit der Umwelt treten zu müssen: weder Blick- noch Sprachkontakt. Eigentlich bleiben sie irgendwie ‚zuhause’: eine Art freiwilliger Isolation. Was aber ist mit den Frauen, die sich ihre Religion nicht freiwillig aussuchen durften?

Das Burka-Konzept ist – ohne dass die mohammedanischen Minderheiten, die das Burka-Konzept vertreten, es eingestehen mögen – ein politisches Konzept. Jedenfalls müssen wir es aus unserer Demokratiegeschichte so auffassen. Daran allerdings wird dann auch sogleich ersichtlich, dass es nicht einfach um Fragen der religiösen Toleranz geht, sondern um den Kern europäischer politischer Werte. Man wird zugestehen müssen, dass wir das nicht leichterdings beiseiteschieben können.

Die Kompetenz, als Person öffentlich auftreten zu können, ist identisch mit der politischen Freiheit. Deshalb ist die Toleranz der demokratischen Gesellschaft hoch strapaziert, weil – aus welchen religiösen Gründen auch immer – Teile der Bürgerschaft von der Teilhabe an der Öffentlichkeit ausgeschlossen werden. Dafür ist die Toleranz in Europas nicht konzipiert worden: dass man sich aus der Öffentlichkeit, dem erkämpften Raum der politischen Freiheit, ausschließt. Keine Religion kann diese Freiheit beschneiden. Hier muss sich die Religion fügen, denn ein Ergebnis der Toleranz – als Folge der Beendigung der Religionskriege im 17. Jahrhundert (‚Westfälischer Friede’) – war das Ende der religiösen Vorherrschaft vor der Politik. Sich fügen heißt: über die Trennung von Religion, Politik und öffentlichem Verhalten reflektieren. In diesen Fragen können wir nicht nachgeben, wenn wir nicht unsere zivilisatorischen Errungenschaften aufheben wollten. Wir erörtern das – vorsichtig in solchen Fragen geworden – wenig, aber die Scharia kann als religiöse Rechtsordnung weder über die Verfassung noch gleichwertig neben sie gestellt werden.

Das Burka-Konzept gehört allerdings in den Reigen religiöser Ordnungen, die neben, wenn nicht gar über die säkularen Ordnungen gestellt werden. Solche Konzepte kann man in Europa privat ausüben, aber nicht in der Öffentlichkeit, oder sie gar praktizieren, denn das würde ja einen – religiös motivierten – politischen Anspruch stellen. Selbst wenn das die Verfechter des Burka-Konzeptes von sich weisen würden, dass sie das vorhätten, symbolisieren sie aber faktisch eine andere Gesellschaftsordnung als wir uns in Europa erkämpft haben. Da darf man nicht erstaunt sein, wenn das Burka-Konzept und seine weitreichenden Gründe hier auf wenig Gegenliebe stoßen.

Es ist ein Dilemma, das sich nicht einfach auflösen lässt. Wir werden das Konzept der freien Personen in der Öffentlichkeit nicht aufgeben, aber die Vertreter der Burka auch nicht einfach ihre Vorstellungen. Ich halte wenig davon, die Burka zu verbieten. Man wertet sie zu sehr auf. Im Islam sind die Verfechter der Burka eine Minderheit (wenn auch die fundamentalistischere). Auch bei uns. Kaum jemand trägt sie hier. Auch wird sich das in den islamischen Gemeinschaften in unserer Gesellschaft irgendwann untereinander selber klären. Bleiben wir gelassen.

Wir werden uns im Migrationsstrom an vieles Neues, uns erst einmal Seltsames gewöhnen. Bleiben wir dem gegenüber offen: Nur so begegnen wir dem Anderen, wie die anderen uns als andere: von Angesicht zu Angesicht. Es geht nicht um Burkas, sondern um mehr: Ist das Gesicht versteckt, begegnet man sich gar nicht. Wie sollen wir dann aber eine Gesellschaft werden, wenn wir uns nicht begegnen?


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