Automation, Grundeinkommen und Unmengen freier Zeit

Allmählich bilden sich die Kontouren der digitalen Revolution heraus. Im Silicon Valley wird von der Einführung des Grundeinkommens geträumt. Je stärker die Wirtschaft digitalisiert wird, desto stärker wird sie automatisiert, und die freigesetzten Menschen haben keine Einkommen mehr aus Beschäftigung und Arbeit. Wer soll denn sonst alle die wunderbaren digital products and services kaufen? Von welch anderem Einkommen als vom Grundeinkommen?

Ida Auken, ehemalige Umweltministerin Dänemarks, schildert eine Welt, in der die Maschinen die Wertschöpfung übernehmen und wir dadurch frei werden, statt zu arbeiten Muße zu haben. Roboter haben die Arbeit übernommen, Privatbesitz ist abgeschafft, Miete ist frei, weil freier Wohnraum optimal genutzt wird (World Economic Forum). Das ist keine neue Idee: Marx hatte die Muße ausdrücklich für den Kommunismus vorgesehen. Die automatisierte Industrie würde von den Menschen 2 -3 Stunden Arbeit pro Tag fordern; die dadurch gewonnene freie Zeit ermöglichte endlich jedem Menschen, sich umfassend zu bilden. Marx dachte die Muße (altgriechisch schole) als Zeit der Bildung. Und Lord Maynard Keynes entwarf 1929 eine ähnliche Utopie des Kapitalismus’. 2030 wäre die Industrie soweit entwickelt, dass jeder nur mehr noch 2 -3 Stunden arbeiten müsse, um sich in der freien Zeit den Künsten, der Bildung und anderen kreativen Dingen zu widmen. 500 Pfund würde ausreichen, um auskömmlich leben zu können. Das klingt wie ein Grundeinkommen, ist aber das allgemeine Einkommen für jeden. Man kann nicht durch Arbeit hinzuverdienen – warum noch für Geld arbeiten?

Wenn die Industrie alle Produktionen automatisiert, können die Menschen nicht mehr für ihre Arbeit entlohnt werden und die Einkommen, die sie notwendigerweise bekommen müssen, werden umverteilt aus dem allgemeinen Fond der Wertschöpfung. Beide – Marx explizit, Keynes nur implizit – haben die Industrie vergesellschaftet (Frau Auken auch). Nur so kann aller Gewinn umverteilt werden. Bei Keynes lesen wir, dass der Kapitalismus eine harte Übergangszeit darstelle, bis alle Menschen zivilisiert leben können.

So sehen es die Grundeinkommensverfechter nicht. Vor allem nicht die aus den Silicon Valley. Sie bestehen auf dem Profit, sehen ihn geradezu gefährdet, wenn die Wirtschaft allgemein so durchautomatisiert wird, dass viele Menschen keine Einkommen aus Beschäftigung mehr haben, also ihre Nachfragekompetenz sinkt. Sie lasten dem Staat die Aufgabe der Organisation der Umverteilung der Steuer und Sozialprogramme zu, um die Freiheit des Marktes aufrecht zu erhalten. Sie sind ein Teil der Automatisierung, gleichsam ihr Treiber. Der Trend zur digital world ist zudem ein ungeheuer profitables neues Geschäftsfeld.

Marx und Keynes haben alteuropäische humanistische Ziele: die Zivilität des Menschen in seinen Höchststand zu erheben (wie man das in der alten Bildungswelt verstand). Nur 2 -3 Stunden arbeiten zu müssen wäre ein historischer Akt der Emanzipation von Zwang und Notwendigkeit. Die Grundeinkommensdebatte ist aber erst einmal frei von der Idee der Befreiung der Arbeit durch Automation. Es geht ihr um die Wahl zwischen Lohnarbeit oder – z.T. viel geringerer – Staatszahlung. Erst jetzt entdeckt man, dass das Grundeinkommen eine mögliche Lösung des Arbeitsfreisetzungsproblems infolge der digital revolution sein könnte. Damit wird es zu einem erweiterten Sozialunterhaltsprogramm, ohne irgendeine zivilisatorische Idee. Statt Arbeit gibt es Geld. Es entfällt aber die Wahl, die die ersten Grundeinkommenskonzepte vorgesehen hatten: es ist einfach keine Arbeit mehr im Angebot (außer für sehr selektive Qualifikationen). Das Personal der kapitalistischen Epoche, die über 200 Jahre ihre Energien verbraucht hat, wird schlussendlich ausbezahlt, gleichsam als neue Klasse arbeitsloser Rentiers.

Was ist mit den Erwartungen, die Grundeinkommensfinanzierten würden sich kreativen Tätigkeiten widmen, endlich ihr Leben leben anstatt für es zu arbeiten? Nachdem die Roboter die Arbeit übernommen haben, haben wir Zeit, „gut zu essen, gut zu schlafen und Zeit mit anderen zu verbringen“, lesen wir bei Ida Auken (für das Jahr 2030, wie bei Keynes). Das ist nichts anderes als unser aktuelles Freizeitprofil; zudem wird „alles in Unterhaltung verwandelt“. Auch das wird uns vergehen; shopping wird langweilig. Man nimmt, was man bekommt und lässt sich „von Algorithmen beraten, die besser wissen, was man eigentlich will“. Die freie Zeit dient nicht mehr der kreativen Entwicklung des Menschen, sondern weitgehend dem comfort of life. Weder arbeiten wir noch sind wir kreativ, noch bilden wir uns. Alle Modelle versagen

Es ist kein Zufall, dass die Silicon Valley-Industrie Games und andere elektronische Beschäftigungen anbietet, um die Freizeit der Systemarbeitslosen auszufüllen. Die alten Bildungszivilisationspläne (Marx, Keynes) finden kein Publikum mehr. Es geht heute nicht mehr um die Befreiung oder Emanzipation von der Arbeit, sondern um eine Beschäftigung 2ter Ordnung: um grundeinkommensbezahlte Event-Strukturen. Von Arbeit wie von anderen gesellschaftlichen Anforderungen entlastet, werden Ersatz-Beschäftigungen nötig, um die Entlastungen von Lebenssinn zu kompensieren.


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