Inzwischen wissen wir, dass VW dem Herrn Ministerpräsidenten Weil seine Rede umformuliert hat. Für Kenner der politischen Praxis ist das überhaupt nicht neu, wissen wir doch, dass in Berlin und Brüssel unzählige Lobbyisten damit beschäftigt sind, zum Teil an Gesetzestexten mitzuschreiben. Da liegt es nahe, diese großartige Dienstleistung auch dem Ministerpräsidenten anzudienen; es zählt gleichsam zu den Gewohnheiten.
Bei Weil muss man gar nicht die Lobby aktivieren, sondern man war sich mit dem Management von VW seit langem einig, alle Dinge untereinander zu besprechen und zu regeln. Die Kontrollfunktion des Aufsichtsrates war längst von einem konsensorientierten Diskurs begleitet. Nun war VW bislang Zeit eine anerkannte und geachtete Institution. Seit dem Betrugsskandal und jetzt wegen der Dieselaffäre hat sich das geändert. VW wird seitdem völlig anders, nämlich hochsensibilisiert beobachtet. Diese Risiken hat die Politik in Niedersachen (wie auch in Bonn) nicht wirklich beachtet. Man ist unvorbereitet in diese nationalen Fettnäpfchen gestiegen, ohne Plan B (ohne überhaupt eine strategische Option – was tun, wenn die deutsche Autoindustrie in- und ausländisch ihren Markenwert verliert. Und den Elektromobilitäts-Wettbewerb gegen China und Tesla). Man hat sich untereinander – zu sehr – vertraut.
Im Laufe dieses Prozesses hat die Politik hat ihren Instinkt verloren. Denn gerade dann, wenn die Lage längst heikel ist, sich vom Verursacher der Misere die politischen Aussagen diktieren zu lassen, ist politisch äußerst unklug. Denn jetzt steht Herr Weil da als einer, der die Situation nicht lenkt, sondern von den Verursachern in Haftung genommen wurde. Das ist besonders obsolet, da er als Ministerpräsident seine Souveränität verschenkt hat. Solche opportunistischen Politiker will man allmählich nicht mehr sehen.
Als Aufsichtsrat sitzt Herr Weil zwischen zwei Stühlen. Für VW und das Land will er die Wertschöpfungskraft erhalten. Als Ministerpräsident aber muss er kontrollieren und Schaden vom Land abwenden. Jetzt hat er durch sein politisch taktloses Verhalten den Schaden nur vermehrt. Er hätte sich von vornherein heraushalten können – in keinen Vertrag steht, dass die beiden Sitze im Aufsichtsrat vom Ministerpräsidenten selber eingenommen werden müssen. Auch hier hat Weil nicht die Risiken erspürt, die durch die Betrugshandlungen des niedersächsischen Weltkonzerns für die Politik hochklappen.
Es geht nicht darum, die Gesprächseben zwischen Wirtschaft und Politik abzubauen. Natürlich sind diese Gespräche wichtig, zumal die Politiker oft wenig Kompetenz in Ökonomie haben. Und weil die Unternehmen natürlich wissen wollen, auf was sie einstellen müssen in der Politik. All das ist notwendig und legitim – bis die Grenze strafrechtlich überschritten wird. Von dem Moment ist höchste Vorsicht geboten. Die Vorsicht hat Weil nicht gehabt. Deshalb braucht es künftig – wie in jedem Konzern heute schon üblich – compliance-Regeln, an die man sich halten kann, wenn man in Konflikt steht. Bei aller produktiven Kumpanei muss man dann, wenn es darauf ankommt, auf die Regeln verweisen können, um nicht in etwas hineingezogen zu werden, was man nicht wollen kann und um dann zu sagen, was zu sagen nötig ist.
Weil rechtfertigt sich, dass es gerade wegen der Brisanz der Lage wichtig gewesen sei, alle Formulierungen auf juridische Klopffestigkeit zu prüfen. Gabriel bestätigt ihn darin. Aber das können doch unabhängige Juristen tun; dazu hat man doch Ministerien! Dass man als Landesvater dem Konzern in schwerer Zeit beistehen will, mag sein, aber deshalb sich die Argumentation und damit die Haltung wie die Entscheidbarkeit vorschreiben zu lassen, ist ein starkes Stück. Auch VW’s Klugheit ist zu bezweifeln: man braucht doch einen starken Ministerpräsidenten im Aufsichtsrat, nicht einen, der als schwach entwertet ist. Man hätte das Ansinnen, das Manuskript zu sondieren, zurückweisen müssen. Auf beiden Seiten unkluge Leute macht eine Misere mehr. Weiß denn niemand mehr sich zu verhalten?!
Die Affäre Weil ist nur ein Indikator für eine Wandlung im politischen Umgang: die Zeit der naiven Kumpaneien ist vorbei. Die Märkte sind keine großen Wohlstandstanker mehr, die sich positiv wie von selbst regeln, sondern voller Überraschungen – positiver wie negativer Art. Das Management ist keine Vertrauensbruderschaft, sondern z.T. vorteilssuchend bis zum Betrug, wie wir es jetzt gerade wieder kennengelernt haben. Da muss die Politik sich umstellen, sehr viel aufmerksamer werden, erste Indizien wahrnehmen, neutrale Wissenschaftlerkohorten haben, die ihnen die Dinge präventiv entschlüsseln, die sie als Politiker mehr nur vermuten. Und ein anderes Rückgrat haben: einen politischen Stolz, Verhältnisse, die nicht zur demokratischen und zivilisatorischen Grundvereinbarung gehören, abzuschaffen. Warum nicht zur Abwechslung einmal Politiker, die mannhaft ihren Staat stehen?