Politik ohne Politik: ist es schon egal, wer mit wem regieren wird?

 

Wir haben uns nach der letzten Wahl (wann war die eigentlich?) daran gewöhnt, keine wirkliche Regierung zu haben. Die stellvertretenden Reste der GROKO der alten Periode, verwaltet die Politik; sie regiert nicht. Eigentlich ist es erstaunlich, dass wir Wähler diesen Zustand hinnehmen: als ob es egal wäre, wer regiert, wenn man meint, darauf vertrauen zu können, dass Deutschland irgendwie gut verwaltet wird.

Die GROKO war das Zeichen, dass es eigentlich keinen großen Unterschied mehr macht zwischen CDU und SPD. Jamaika war eine kurz aufleuchtende Hoffnung, etwas anderes zu bekommen. Anscheinend hat Lindner sie ‚versaut’. Aber er hatte Sorge, dass seine gerade neue geschaffene FDP in den Klauen der Jamaika-Viererkoalition die Federn, die noch gar nicht gewachsen waren, gerupft werden. Genau das befürchten jetzt auch viele SPD-Mitglieder: dass ihre gedemütigte Partei, die nach der Wahl kurz machtfrei auftrumpfen wollte, in den Mühlen der neuen GROKO noch schwächer aussehen werde, als in der letzten Runde. Fast die Hälfte der SPD glaubt, für die SPD sei in den Vorverhandlungen nichts rübergekommen: jedenfalls nichts von dem, was in der kleinen Abstinenzperiode nach den Wahlen groß als Wesenskern der zu renovierenden SPD ausposaunt wurde (also das, was man in der GROKO versäumt hatte oder nicht schaffte). Dass Schulz, der sich darin stark machte, mit den schwachen Ergebnissen der Vorsortierung nun leben muss, macht ihn ärmer als er ist. Dass die Partei am Sonntag knapp für die Aufnahme der Verhandlungen votierte, zeigt nur ihre Zerrissenheit und garantiert nichts.

Beide Parteien: CDU und SPD, erscheinen als schwach. Die CDU nur deshalb etwas weniger, weil keiner weiß, was sie eigentlich will. Man schaut nur auf die SPD, was sie mit ihren armen 20% noch erringen kann. Dass die CDU mit ihren mageren 30 % auch nicht viel wollen kann, bleibt merkwürdig unterbelichtet. Und dann taucht immer dieser kränkelnde alte Mann auf, der mit leiser Stimme für eine bayrische Regionalpartei spricht, als ob sie der Entscheider schlechthin sei. Im Grunde wünscht man der CDU, dass sie dieses Kreuz bald einmal ablegen kann.

Solange es den Wählern reicht, dass sie einigermaßen gut verwaltet werden, erwarten sie gar nichts anderes als ungefähr die Fortsetzung der bisherigen müden Politik. Doch versteht allmählich niemand, warum die Parteien nicht aufeinander kommen, wenn sie sich sowieso kaum unterscheiden. Man inszeniert fürs Publikum ‚lange Nächte’, um zu demonstrieren, wie sehr man kämpft, um dann nur wieder magere Ergebnisse zu liefern, die den langwierigen Mühen nicht wert erscheinen. Aber warum dauert das alles vier Monate – und absehbar länger?

In der SPD rumort es. Die Mitglieder regen sich auf über die zu hohe Kompromissbereitschaft. Schulz versucht das Mögliche, was umso schwieriger ist, als er zuvor kategorisch gegen eine weitere Koalition war. Er möchte aber nicht wie der Verweigerer Lindner dastehen, wenn es um Staat und vor allem Europa geht. Die Partei möchte seelisch rein bleiben, d.h. auf Weltanschauungen beharren, die schon seit Jahren niemanden anderen als einen engen Kern interessieren. Schulz weiß, dass eine SPD, die auf 20% gerutscht ist, nichts wirklich durchsetzen kann. Aber die Lust, unschuldig zu bleiben, um den Preis der Machtlosigkeit, macht die SPD noch hilfloser als sie es bereits ist. Bei den nächsten Wahlen wird ihr nur noch ein Minderheitenschutz gewährt, aber kaum ein Wähler zusätzlich. Die SPD wird sich mit der immer noch drohenden Weigerung zu regieren (Mitgliederbefragung, Scheitern der Verhandlungen) für die Neuwahlen extrem schlecht aufstellen. Sie würde dann Lindner 2.

Wir sehen gerade eine Partei sich selbst demontieren – ein Prozess, der der CDU noch bevorsteht, wenn Frau Merkel abdanken wird. Möglicherweise schon dann, wenn die Minderheitsregierung als Alternative gehandelt werden wird. Denn Neuwahlen bringen keine anderen Verhältnisse, gerade jetzt nicht, wenn die zweite GROKO scheitern sollte. Die CDU bliebe ungefähr in ihrem Rahmen, die SPD verliert, ebenso wie die FDP. Die Grünen bekommen einen Mitleidsbonus; die Linke stagniert weiter, die AFD wird etwas zulegen (aber nur aus der Schwäche der anderen, nicht wegen eigener Politik, die nicht sichtbar wird). Keine der Parteien würde die Option bekommen, als führende Kraft auftreten zu können. Das Dilemma, das sich gerade zeigt, würde einfach fortgesetzt. Eher würden SPD und CDU abgestraft für ihre versagte ‚Rettung’. Denn niemand traut irgendwem zu, den gordischen Knoten zu durchschlagen. Weil niemand der Politik zutraut, Politik zu machen. Dann bleibt man bei dem Zustand, das Land irgendwie mit Notregierungen zu verwalten. Das ist kein gutes Zeichen für die Demokratie.

Es passt zum konservativen Trend, der das Land durchweht.: bloß keine Experimente. Alle Reformen, die schon seit Jahren ausstehen – und je länger wir warten, desto ‚ausstehender’ werden sie – werden vermieden: Rente (bis hin zum Grundeinkommen), Gesundheit, Bildung, Verkehr, Digitalisierung, Europa, Militär etc. Die Wähler wählen Parteien, die das alles zu vermeiden trachten; auch deshalb wird die nächste Wahl ungefähr wie die letzte auslaufen. Zur AfD geht man aus Protest, nicht wegen ihrer Reformfähigkeit (die sie auch gar nicht beansprucht; sie ist ja hyper-konservativ), sondern aus Gründen nationaler Identität (als ob das irgendetwas ändern würde) und aus Fremdunfreundlichkeit. In der Verwaltungsphase der Politik, in der wir uns gerade befinden und in der wir uns einzurichten beginnen, wird alle Initiativkraft blockiert. Auch die FDP ist, wenn man ihre politischen Ziele nachliest, eine lame duck.

Einzig ein Photo, das die Herren Dobrindt (CSU), Spahn (CDU) und Lindner (FDP) an einem Tisch zusammensitzen zeigt, wobei der Redakteur noch berichtet, dass sie die Zeit nach Merkel planen, macht Hoffnung; dafür muss allerdings Frau Merkel zurücktreten. Sie ist noch der starke Mantel, der die Initiativlosigkeit der Politik zudeckt. Der nächste Regierende allerdings wird einen solchen, über lange Zeit gestrickten Mantel nicht haben, sondern auf eigenen Beinen daher kommen müssen. Man unterschätze Dobrindt nicht, Spahn muss erst zeigen, was man ihm voreilig zuspricht. Aber Lindner hat Potential als Teil einer neuen politischen Führung, die eine German Future entwerfen kann, ohne neoliberal das Soziale auszugrenzen. Die Soziale Marktwirtschaft bleibt die institutionelle Basis, wenn man in Deutschland einen gewissen Konsens beibehalten will. Aber die left wingend politics hat momentan schlechte Karten, weil niemand weiß, ob sie überhaupt Karten haben bzw. ob sie überhaupt noch Karten spielen wollen bzw. können.

Die SPD ist einfach nicht aufregend genug. Dass die CDU genauso wenig aufregend ist, wird dadurch verdeckt, dass sich alle mit den fehlenden Aufregungen der SPD beschäftigen. Und die AfD simuliert nur Aufregung; sie ist eher eher provinziell und heimatverloren. Wenn nur einer aus den anderen Parteien aufregend-politikstark auftreten würde (schauen wir neidisch auf Frankreich), verblasste die AfD. Aber das politische Personal ist nicht imposant. Es reicht eben nur für die Verwaltung.

 


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